Dekan Olliver Zobel zur Öffnung der Kirchen für Gottesdienste
Seit der Lockerung der pandemiebedingten Einschränkungen Anfang Mai scheint unsere Gesellschaft förmlich aufzuatmen. Die Möglichkeit, nun wieder – unter Berücksichtigung besonderer Abstands- und Hygieneregeln – in den Kirchen Gottesdienste zu feiern, hat in vielen der insgesamt 42 Kirchengemeinden des Evangelischen Dekanates Ingelheim-Oppenheim Vorfreude aber auch eine gewisse Verunsicherung ausgelöst. „Werden wir die strengen Vorgaben, zu denen auch die Abfrage des Namens, der Adresse und der Telefonnummer der Gottesdienstbesucher zählt, erfüllen können?“, fragt man sich mancherorts.
Hygienekonzept nicht in jedem Kirchengebäude umsetzbar
Dekan Olliver Zobel ist dankbar, dass sich die Kirchenvorstände dennoch der Herausforderung stellen, ob und wenn ja wie ein Hygienekonzept für ihre Kirche möglich ist. Einige werden sehr schnell Entscheidungen treffen können, weil die bauliche Situation ihrer Kirche für solch‘ ein Konzept gute Voraussetzungen bietet. Andere werden feststellen, dass es kaum Sinn macht in einer Kirche einen Gottesdienst anzubieten, zu dem man höchstens neun Gäste zulassen kann. Außerdem müssen auch personell einige Auflagen erfüllt werden. So braucht man für jeden Gottesdienst einen Hygienebeauftragten – und den muss man erst einmal finden.
So werden wohl nach und nach in einigen Kirchen wieder Gottesdienste angeboten werden. Andere Gemeinden werden aber zurecht erst einmal weiterhin die Kirchen geschlossen halten und mit ihren Gemeindemitgliedern weiterhin in den Formen Gottesdienst feiern, wie sie sich in den letzten Wochen entwickelt haben (z. B. über das Internet oder mit Hilfe von Andachtszetteln oder Gemeindebriefen, die an die Gemeinde verteilt werden).
Durch Abstands- und Hygieneregeln geprägte Gottesdienste
Dekan Olliver Zobel freut sich zwar auch über die Wiederaufnahme der Gottesdienste: „Ich bin froh“, erklärt der Pfarrer, „dass Gottesdienste wieder stattfinden können, weil es eben für mich wieder ein wichtiges, öffentlich wahrnehmbares Zeichen dafür ist, dass wir auf der Suche nach einem neuen Alltag sind; dass wir versuchen, aus dieser Krisenzeit herauszukommen.“ Gleichzeitig weiß er aber auch, dass diese Gottesdienste, soweit sie denn den Vorgaben entsprechend möglich sind, anders sein werden – ganz anders, als es viele der Gemeindeglieder bisher gewohnt waren. „Das ist unsere Schwierigkeit in dieser Krise, dass Nähe und Gemeinschaft, die wir gerade jetzt so gerne anbieten möchten, in diesen durch Abstands- und Hygieneregeln geprägten Gottesdiensten nur schwer zu spüren sein werden.“
Kreative Gottesdienst-Alternativen weiter feiern
Zobel hofft, dass die Gottesdienstbesucher, trotz aller Auflagen, das von vielen ersehnte Gefühl der Gemeinschaft, der Geborgenheit und der Gottesbegegnung erleben werden. Jetzt müssen die Gemeinden erst einmal Erfahrungen sammeln: „Man wird sehen, was da möglich ist, welche Formen greifen und welche nicht.“ Gleichzeitig hofft er aber auch, dass die vielen kreativen Alternativen zur Seelsorge vor Ort und zu den „klassischen“ Sonntagsgottesdiensten in der Kirche, die in den Gemeinden durch das Engagement von Haupt- und Ehrenamtlichen entwickelt wurden, nun nicht ganz in den Hintergrund treten: „Ich bin sehr froh, dass Kolleginnen und Kollegen die Corona-Krise dazu nutzen“, erklärt der Dekan, „alternative Seelsorge- und Gottesdienstformen auszuprobieren. Noch haben wir nicht die Zeit, um das in Ruhe zu reflektieren, hoffen aber, dass wir uns ein paar Punkte über die Corona-Krise hinaus erhalten können.“
Neue Netzwerke von Haupt- und Ehrenamtlichen erhalten
Und er erläutert, dass die Weiterentwicklung der Gottesdienstkultur im Dekanat während der Corona-Krise einen kräftigen Schub nach vorne erhalten habe. Dazu gehört für Olliver Zobel z. B. die live im Internet übertragenen Gottesdienste. „Das könnte doch weitergehen“, so der Dekan, „auch wenn die Menschen wieder die Gottesdienste in den Kirchen feiern können. Warum sollen wir diese Form nicht weiter anbieten? So konnten wir jetzt schon neue Leute ansprechen und könnten es auch weiterhin.“ Der Theologe hofft außerdem, dass auch die Netzwerke innerhalb des Dekanates und der Gemeinden, die sich bei der Entwicklung gemeinsamer Projekte zur Bewältigung der Corona-Krise gebildet haben, weiterhin bestehen bleiben.
In der Gesellschaft das Miteinander wieder mehr diskutieren
Darüber hinaus hat er festgestellt: „Durch diese Krise haben wir auch als Gesellschaft gemerkt, dass wir einander mehr brauchen. Und ich hoffe natürlich, dass dieses „mehr Brauchen“ auch dazu führt, dass wir manche Prozesse in unserer Gesellschaft, wie ich es z. B. in Bezug auf die Vereinzelung der Menschen erlebt habe, dass vielleicht da manche Prozesse wieder mehr in Frage gestellt werden“. Seine große Hoffnung ist, „dass wir in unserer Gesellschaft wieder unser Miteinander diskutieren und wieder ein bisschen mehr zusammenrücken“. Gerade bei ethischen Debatten, wie der Frage zum Umgang mit dem jeweils Nächsten, sei Kirche ein wichtiger Ansprechpartner. „Politik kann immer nur versuchen, einen Kompromiss herzustellen und Schwerpunkte zu setzen“, ist der Dekan überzeugt, „aber es war schon immer so, dass ihr die Grundelemente und Werte von außen gegeben wurden, von Philosophen oder Theologen.“
Hilke Wiegers, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Evangelisches Dekanat Ingelheim-Oppenheim