Von Luther und Cranach für die Zukunft der Kirche gelernt

Selbstorganisierte Fortbildung des Dekanats Ingelheim-Oppenheim ging nach Wittenberg

„Vorsicht Pferd!“ – die Reisegruppe aus dem Evangelischen Dekanat Ingelheim-Oppenheim geht einige Schritte zur Seite und folgt damit den gestrengen Anweisungen ihrer Wittenberger Stadtführerin. Kein Wunder, dass alle so diszipliniert sind, denn die der Wittenberger Geschichte kundige Dame verkörpert doch die gestrenge Frau Martin Luthers, Katharina von Bora. Schließlich will man ja mit ihr in die Geschichte Wittenbergs zur Zeit der Reformation eintauchen. Und so machen die Gäste aus Rheinhessen keinem Pferd, sondern tatsächlich einem Fahrrad Platz und werden von Stadtführerin Katharina noch einmal ermahnt: „Wenn eine Kutsche kommt, muss das aber schneller gehen!“

Fortbildungsreisenden auf dem Wittenberger Schlossplatz.

Foto: Pfarrer Hartmut Lotz

Auf die eigenen Wurzeln besonnen

Die 14 Mitarbeitende des Evangelischen Dekanates Ingelheim-Oppenheim, unter ihnen Dekan Olliver Zobel, PfarrerInnen, FachreferentInnen und Verwaltungskräfte, stehen jetzt vor der Schlosskirche in Wittenberg. Sie nehmen an der selbstorganisierten Fortbildung des Dekanates zur „Wiege der Reformation“, wie sich die Universitätsstadt an der Elbe gerne selbst nennt, teil, um zum einen eine Blick in die Vergangenheit der protestantischen Kirche, aber auch einen Blick in deren Zukunft zu werfen. Auch wenn die Gruppe – coronabedingt – nur klein ist, lauscht sie gespannt den Ausführungen ihrer Stadtführerin über die Orte und Kirchen in Wittenberg. Jener Stadt, in der Luther einen kirchlichen Reformprozess angestoßen hat, der schließlich die Evangelischen Kirche begründete. Gerade in dieser Zeit, in der so vieles in Frage gestellt wird, tut es auch den Teilnehmenden gut, sich wieder auf die eigenen Wurzeln zu besinnen – auf die Gedanken von der Freiheit aller Christenmenschen, vom allgemeinen Priestertum aller Gläubigen, aber auch von der ersten Kirchenordnung und Luthers Visitationen.

Einblick in den PfarrerInnen-Alltag in Mitteldeutschland

Den Blick in die Zukunft lenkt am zweiten Tag der Fortbildung ein Besuch von Pfarr-Kolleginnen und Kollegen im Kirchenkreis Wittenberg an. Die Rahmenbedingungen, unter denen diese in ihrem Arbeitsalltag zurechtkommen müssten, führt zu manch erstaunter Nachfrage: „Sie sind für 16 Predigtstellen zuständig?“ oder „In diesem Dorf leben wirklich nur noch 12 Evangelische und doch steht die Kirche noch mitten im Dorf?“ Es sind aufschlussreiche Gespräche die geführt werden. Schnell wird klar, dass die Pfarrer hier im Kirchenkreis Wittenberg ganz unterschiedliche Wege gefunden haben, Kirche unter diesen – von dem im Dekanat Ingelheim-Oppenheim derzeit stark abweichenden – Rahmenbedingungen zu leben. Ein Pfarrer hat ein ausgeklügeltes System entwickelt, so dass in all seinen Kirchen mindestens noch vierzehntägig Gottesdienste stattfinden können, eine andere Pfarrerin beschränkt sich auf wenige Orte, an denen sie dann aber mit engagierten Mitarbeitenden besondere Dinge anbietet.

Neue Formen der Gemeindearbeit kosten viel Kraft

Die geführten Gespräche machen deutlich, dass es viel Mühe und Kraft gekostet hat, diese neuen Formen zu finden, dass die PfarrerInnen aber jetzt gut damit klarkommen und auch mit viel Freude und Engagement weiterarbeiten wollen. Wobei sie ihren BesucherInnen aus dem Dekanat Ingelheim-Oppenheim eines mit auf den Weg geben: Neue Strukturen und Abschiedsprozesse sollten in Vakanzzeiten oder mit den „alten“ Mitarbeitenden geklärt werden. Neue Mitarbeitende sollten damit nicht sofort nach Arbeitsantritt konfrontiert werden, da sonst der Neustart gleich sehr belastet sei. Am Abend dieses aufschlussreichen Fortbildungstages bedanken sich die Fortbildungsreisenden aus Rheinhessen bei ihren Kolleginnen und Kollegen aus dem Kirchenkreis Wittenberg mit einer fröhlichen rheinhessischen Weinprobe, bei der tagsüber geführten Gespräche engagiert fortgesetzt werden.

Neue digitale Formate auf dem Prüfstand

Auch in den nun folgenden Tagen der Fortbildung richten die Teilnehmenden ihren Blick auf die zukünftige Gestaltung ihrer Arbeit. Unterstützt durch die Mitarbeitenden aus dem Zentrum für evangelische Gottesdienst- und Predigtkultur beschäftigt sich die Gruppe mit der Weiterentwicklung der digitalen Formate, die während der letzten Monate in vielen rheinhessischen Gemeinden infolge der Corona-Pandemie entstanden sind. Schnell wird deutlich, was diese für ein Schatz sind und mit welchem Engagement sich die Kirchengemeinden den Herausforderungen durch den Corona-Virus gestellt haben. Genauso schnell wird klar, dass solch‘ ein Engagement nicht einfach so weitergehen kann, wenn jetzt auch die bisherigen Angebote, gewiss in anderen Formen, wieder vermehrt stattfinden. Und schließlich kristallisiert sich auch heraus, welches Potential in diesen Formaten steckt, dass es dazu aber eigentlich ein noch höheres Engagement bräuchte, das kaum eine Kirchengemeinde allein stemmen kann. So nehmen die Kolleginnen und Kollegen zwei Aufgaben mit nach Hause: Erstens: einfache, vielleicht hybride Formate für die Gottesdienste finden und zweitens: Klärungen im Dekanat herbeiführen, dass zwei bis drei Formate im Dekanat gemeinsam weitergeführt werden können, die man dann auch qualitativ weiter entwickeln kann.

Wie Luther den Menschen „auf’s Maul“ schauen

Denn eines ist auch bei der Stadtführung deutlich geworden – auch die Menschen zu Luthers Zeiten erkannten sehr schnell das große Potential der zu ihrer Zeit aufkommenden neuen Medien. So nützte der Wittenberger Maler, Grafiker und Buchdrucker Lucas Cranach Vorlagen, Schablonen und ein gutes Team von Mitarbeitern, um seine Bilder gut und günstig unter das Volk zu bringen. Und da er sich sehr bald der Sache Luthers annahm, trug er nicht unerheblich mit seinen Bildern und Drucken dazu bei, dass die Menschen Luthers Thesen vor Augen hatten. So gewannen die Teilnehmenden der Wittenberger Fortbildung die Erkenntnis, dass es sich auch heute noch lohnt, mit Luther den Menschen wieder neu „auf’s Maul“ zu schauen, mit Cranach die neuen Möglichkeiten der Digitalität professionell zu nützen und so Ideen für die Reform der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau mit ihren Gemeinden und Dekanaten zu entwickeln.

Hilke Wiegers, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Evangelisches Dekanat Ingelheim-Oppenheim

Sommergarten-Leselust lockte in den Kirchgarten

Foto: Martina Schott

Ein laues Lüftchen, zirpende Grillen und ein kühles Glas Weißwein – das hätten sich Pfarrerin Verena Reeh und Bildungsreferentin Martina Schott gewünscht.  Doch auch ein schon fast herbstlicher Wind mit deutlich kühleren Temperaturen konnte die Besucher nicht abhalten. Corona-bedingt im Freien erfuhren die interessierten Zuhörer unter anderem von Walen, Aalen und Flusskrebsen. Dass ein Großteil der präsentierten Bücher im Zeichen von Tieren stand, war eher ein Zufall, erklärte Simone Carstens von der Buchhandlung Wagner. Sie hatte neben Krimis und historischen Romanen auch „Der Wal und das Ende der Welt“ von John Ironmonger im Gepäck. Eine mitreißende Geschichte über die Menschlichkeit, in der zuerst ein junger Mann am Strand angespült wird und dann ein Wal. Die Bewohner des Fischerdorfes spüren sofort – hier beginnt etwas Sonderbares. In „Das Evangelium der Aale“ schreibt Patrik Svensson poetisch und spannend von der Nähe, die er in seiner Kindheit mit dem Vater beim Aalfischen erlebte. Nele Müller-Heidelberg von der ev. Gemeindebücherei knüpfte daran an und las eine Passage aus „Der Gesang der Flusskrebse“ von Delia Owens vor.

Aber auch die Gäste konnten den anderen Zuhörern Lesetipps geben. Hans-Martin Schmitz aus Gau-Algesheim hatte sein aktuelles Lieblingsbuch mitgebracht. Er gab schmunzelnd zu, es nicht geschafft zu haben, seine Frau in   den letzten 20 Jahren für Lyrik zu begeistern. Er wolle nun     versuchen, dass bei diesem Publikum in 10 Minuten zu schaffen. Martina Schott von der Fachstelle Bildung stellte „Ich bleibe hier“ von Marco Balzano vor. Darin gibt die Widerstandskämpferin Trina in Südtirol heimlich Deutschunterricht, den die Faschisten verboten hatten.

BUCHTIPP:

Der Gesang der Flusskrebse ist eine Geschichte vom Erwachsenwerden unter extremen Voraussetzungen. Sechs Jahre alt ist Kya, als ihre Mutter vor dem gewalttätigen Ehemann flieht und sich schließlich auch dieser aus dem Staub macht. Kya bleibt in einer kleinen Hütte im Marschland allein zurück. Dort lernt sie zu überleben. Sie kennt jeden Stein und Seevogel, jede Pflanze. Sie sammelt Muscheln und räuchert Fische, tauscht sie gegen Lebensmittel und Benzin für ihr kleines Boot.
Fast 20 Jahre später wird eine Leiche im Sumpf gefunden, Chase Andrews, früherer Sunnyboy des Dorfes. Für die Bewohner ist klar: Das Marschmädchen hat ihn aus Rache dafür getötet, dass er sie sitzen gelassen hat.

Neben dem Kriminalfall und der Romanze sind die grandiosen Beschreibungen der Landschaft besonders eindrucksvoll. Es sind intensive Momente, die die Schönheit und die Kraft der Natur einfangen.

Nele Müller-Heidelberg

Alles wie immer und doch vieles neu

Der erste Dekanatsfrauentag im Evangelischen Dekanat Ingelheim-Oppenheim

Foto: Hilke Wiegers

Bei diesem Dekanatsfrauentag des Evangelischen Dekanates Ingelheim-Oppenheim war eigentlich alles wie immer, aber auch vieles neu. Die Fusion der beiden Dekanate hat nicht dazu geführt, dass die bei vielen Frauen im Dekanat Ingelheim so beliebte nun schon langjährige Tradition des Dekanatsfrauentages am 1. November endete. Nein, sie wird fortgesetzt. Wie immer zieht Hiltrud Runkel mit ihrem Team von Ehrenamtlichen die organisatorischen Fäden, wie immer halten zwei Busse vor dem Gemeindehaus der Ingelheimer Versöhnungskirche und evangelische Frauen aus vielen rheinhessischen Gemeinden steigen aus und eilen dem Eingang des Gemeindehauses entgegen. Drinnen herrscht ein lautes Stimmengewirr, viele kennen und begrüßen sich, schauen schon mal an den verschiedenen Verkaufsständen vorbei. In der kleinen, am Gemeindesaal grenzenden Küche sind ehrenamtliche Helfer von der Evangelischen Jugend im Dekanat Ingelheim-Oppenheim, abgeschirmt vom Trubel im Flur und im Saal, dabei, den Kaffee bereit zu stellen und den Kuchen zu schneiden, während im Saal – wie immer verlässlich und ruhig– der Kirchenmusiker Hans-Reiner Heucher am schwarzglänzenden Flügel die ersten Töne anschlägt.

Aber es hat sich auch etwas verändert: Die Organisatorin Hiltrud Runkel kann zu diesem Dekanatsfrauentag nicht nur Besucherinnen aus den Gemeinden des „alten“ Dekanates Ingelheim begrüßen, sondern auch Frauen aus der Region Oppenheim. Ein neuer Präses, Helmar Richter aus Nackenheim, ist gekommen, um die rund 100 Besucherinnen des Dekanatsfrauentages, der in diesem Jahr unter dem Motto „70 Jahre Weltgebetstag“ steht, zu begrüßen, und er bekennt mit einem Augenzwinkern: „Es ist das erste Mal, dass ich vor so vielen Frauen rede“. Den Weltgebetstag, die große ökumenische Basisbewegung von Frauen, kennt er natürlich gut, hat doch seine Frau in Nackenheim die Weltgebetstaggottesdienste oft mitorganisiert. Und das kleine Materialheftchen, das es zuverlässig jedes Jahr als Zusatzinformation über die Frauen des Landes gibt, mit dem sich der ökumenische Gottesdienst beschäftigt, das findet er richtig gut.

Pfarrerin Anne Waßmann-Böhm ist als neue stellvertretende Dekanin des Dekanates Ingelheim-Oppenheim auch zum ersten Mal mit beim Dekanatsfrauentag. Sie erinnert daran, dass der Weltgebetstag jedes Jahr die Chance bietet, „in eine andere Kultur, ja, in eine andere Welt einzutauchen und den eigenen Horizont zu erweitern“. Und weil es 2019 70 Jahre her ist, dass deutsche Frauen zum ersten Mal den in den USA „erfundenen“ Weltgebetstag feierten, um mit dem Gebet, Kraft zum Handeln zu schöpfen, hat sich das Dekanatsfrauentags-Team in diesem Jahr die Referentin für Frauenarbeit, Ulrike Lang, vom Verband Evangelische Frauen in Hessen und Nassau e. V. eingeladen. Dieser Verband bereitet in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau jedes Jahr die Feier des Weltgebetstages in den Kirchengemeinden vor.

Im Wechsel mit einigen von früheren Weltgebetstagen bekannten Liedern wird nun zusammen mit Ulrike Lange die Geschichte dieser großen ökumenischen Bewegung in kleinen Szenen vom Ehrenamtsteam des Dekanatsfrauentages nachgespielt. Anschließend kommen Kaffee und Kuchen auf den Tisch und es bleibt noch Zeit sich auszutauschen. Den Abschluss des unterhaltsamen Nachmittages macht ein besinnlicher Gottesdienst in der Versöhnungskirche. Nach gemütlichen Stunden hieß es dann wieder hinaus in das ungemütlich-herbstliche Novemberwetter. Wieder war es ein schöner Dekanatsfrauentag. Wie formulierte es doch Präses Richter an diesem Nachmittag in seiner Begrüßung: „Der Dekanatsfrauentag gehört zu den Schätzen des alten Dekanates Ingelheim, den wir in das neue Dekanat Ingelheim-Oppenheim übernommen haben.“

Hilke Wiegers, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Evangelisches Dekanat Ingelheim-Oppenheim